Mein Name sei Nase …

Posted by on Aug 24, 2015 in Kurzgeschichten | No Comments

Er war Spezialist für Nasen. Sein Leben lang hatte er Nasen konsultiert, kontrolliert, von innen und aussen geprüft, Scheidewände betrachtet, Polypen entdeckt, Verengungen festgestellt und Schleimhäute eingeschätzt. Oft hatte er auch Nasen zu operieren, Knorpel wegzumeisseln, Luftwege freizuschaben und alles wieder sorgfältig zu vernähen.

Kurz: er hatte mit Nasen zu tun und nochmals Nasen. Und immer waren es andere Nasen, verschiedene Nasen, neue Nasen. Im Lauf der Jahre begann er die Menschen an ihren Nasen zu messen. Er las ihren Charakter an ihren Na­sen ab. Er lernte geradlinige Menschen kennen, hatte sich mit krummen Typen herumzuschlagen und sah auf einen Blick, ob jemand stumpf oder gar stups war.

Es gab aber auch solche, die nur vorgaben, geradlinig zu sein, in Wahrheit aber das pure Gegenteil waren: Ein Blick ins Innere der Nase überzeugte ihn davon. Der Spezialist liebte seine Nasen, ja er konnte sich ein Leben ohne Nasen nicht mehr vorstellen. Anfangs hielt man es für Fleiss, für Interesse. Seine Kollegen bewunderten den Eifer, mit dem er sich hinter die Nasen machte. Seine Frau, seine Kinder und seine Freunde hingen an seinen Lippen, wenn er von Nasen sprach, wenn er sie mit Worten streichelte. Sie freuten sich mit ihm, waren stolz auf ihn, den angesehenen Spezialisten für Nasen. Anfangs.

Seine Frau war die erste, die das Verzückte in seinem Blick bemerkte. Es entging ihr nicht, wie er sie musterte, wie er mit starren Augen ihre Nase abtastete. Sie wagte es aber nicht, ihn darauf an­zusprechen, wie konnte sie ihm schliesslich im We­ge stehen, wenn er zur Nase berufen war. Aber es machte ihr zu schaffen. Dass die Kinder seine Leidenschaft für Nasen nicht teilten und sich immer öfter gelangweilt von ihm abwandten, deutete sie kaum als ein warnendes Zei­chen.

Als aber selbst gute Freunde begannen, sie auf der Strasse zu übersehen, an ihr vorbeihuschten und mit fadenscheinigen Entschuldigungen weiteren Einla­dungen aus dem Wege gingen, war sie zutiefst beunru­higt. Etwas musste geschehen. Und sie beschloss, das Schweigen zu brechen.

Er war mittlerweile so weit, dass er von Nasen träum­te. Gross erschienen sie ihm und sprachen zu ihm. Wil­fried, pflegten sie zu sagen, du hast Nase bewiesen. Du bist unser Freund. Was auch immer geschehen mag, wir sind bei dir. Nur, verrate uns nicht, niemals.

Fortan lebte Wilfried wie in Trance, es war ihm nicht mehr möglich, zwischen Mensch und Nase zu unterscheiden. Einmal, in der Praxis, als er gerade eine Patienten­nase untersuchte, fragte er geistesabwesend: Sind wir uns nicht schon mal begegnet? Doch, flüsterte die Na­se, sie haben mich vor einem Jahr operiert.

Wilfried, sagte seine Frau, als er wieder einmal in Nasen versunken war, ich muss mit dir sprechen. Du bist so anders geworden in letzter Zeit. Immer redest du von Nasen, immer denkst du an Nasen. Manchmal scheint mir, ich bin nur noch Nase für dich. Die Kinder gehen dir aus dem Weg, deine Freunde wollen nichts mehr von dir wissen.

Was ist bloss in dich gefahren? Rosa, meine Nase, ich weiss nicht, wovon du sprichst. Hast du Grund, dich über mich zu beklagen. Habe ich dich denn mit einer anderen betrogen? Rauche ich? Trinke ich? Bin ich abends am Stammtisch und dresche meine Phrasen an die Wand? Hure ich etwa hinten herum und spiele vorne den Biedermann? Oder habe ich Angst vor meiner Meinung? Bin ich duckmäuserisch, frustriert? Ich verstehe dich nicht. Du hast einen Mann, der sich Nasen zum Beruf und den Beruf zur Leidenschaft gemacht hat. Was ist daran auszusetzen?

Mein Lieber, verstehe mich bitte richtig. Nicht, dass ich deine Leidenschaft für Nasen nicht einsehen könnte, nein. Es ist vielmehr, dass mir scheint, du sähest nur noch Nasen. Das ist es, was mich stutzig und, damit es gesagt ist, auch ein wenig traurig macht. Rosa hatte nicht den Mut, ihm zu sagen, dass sie sich wegen der Nasengeschichte scheiden lassen wollte.

Nasa, warum bist du nur traurig? Komm in meine Arme und zeig mir deine Rose. Weisst du eigentlich, dass ich sie liebe wie am ersten Tag?

Das war entschieden zuviel. Aber Rosa war zu schwach, sich dagegen aufzubäumen, dass er sie heute wieder un­tersuchte. Es wird Zeit, dass wir operieren, sagte er sachlich, wie jeden Tag. Ich gebe Ihnen einen Termin.

In solch schicksalsschweren Momenten pflegte er sie zu siezen. Der Eingriff dauert eine knappe halbe Stunde. Ein biss­chen Knorpel, ein kleiner Polyp. Wollen sie Vollnar­kose oder Lokalanästhesie? Rosa aber hörte nichts mehr von seinen letzten Worten. Sie war bereits betäubt. Sie schwebte durch ein Nie­mandsland und malte sich ein Leben aus an der Seite eines Partners, der ideal ist.